Jussuf ist so alt wie ich, 34 Jahre. Er sitzt im Schneidersitz vor mir und erzählt seine Geschichte. Seit 3 Jahren lebt er hier in der Nähe von Mafraq. Ursprünglich stammt er aus Homs in Syrien; die Stadt, die der Krieg am härtesten getroffen hat.
Er hat 4 Kinder, das älteste von ihnen besucht den Kindergarten von Vision-Hope. Das Vorschulkind ist ein wunderhübscher Junge mit großen Augen und ungewöhnlich hellem Haar. Heute Morgen habe ich mit ihm gesungen und getanzt und er schenkte mir eine spontane Umarmung. Yussuf ist sehr stolz, dass sein Sohn die Vorschule von Vision Hope besucht. Zuvor hätte sein Sohn zuhause nicht einmal gesprochen. Jetzt könne er lesen, schreiben und rechnen. Er hätte nur Gutes über den Kindergarten im Vorfeld gehört und das hätte sich auch bestätigt, sagt er.
Jussuf erzählt uns, dass er wie viele andere auch, erst im Land hin und hergereist ist, um dem Krieg zu entkommen.

Während unseres Gesprächs kommt sein Neffe in die Hütte. Wir fragen nach seinem Alter, aber er weiß es nicht. Jussuf schätzt, dass er jetzt etwa 14 Jahre alt sein muss. Auf die Frage, warum er gerade nicht in der Schule ist, sagt er uns, dass er das letzte Mal in Syrien in die Schule gegangen sei, bis zur dritten Klasse. Seitdem besucht er die Schule nicht mehr.
Man benötige Papiere und Genehmigungen für die Schule, die er nicht hätte, berichtet er uns. Vielleicht möchte er aber auch einfach nicht hingehen. Ich frage mich, was aus ihm werden wird. Was wäre, wenn in Deutschland ein Kind ab der dritten Klasse einfach nicht mehr zur Schule gehen würde?
Jussuf arbeitet nicht. Als ich ihn nach seinem Tagesablauf frage, antwortet er: „Aufstehen, essen, beten, ins Bett gehen.“ Er hat eine Leidenschaft für Vögel, um die würde er sich kümmern. Auch seine Frau geht nicht arbeiten. Sie bringt uns komplett verschleiert Tee und versteckt sich dann im Haus. Auf die Frage, wie er seine Miete bezahle, antwortet er, dass er sich Geld leihen würde. Von der UN gäbe es ab und an Coupons – die 50 Dinar (etwa 70 Euro) Miete im Monat müsse er anderweitig beschaffen. Viele seiner Familienangehörigen seien noch in Syrien. Sein Bruder sei vermisst. Die Armee habe ihn sicher mitgenommen, sagt er uns. Seine Mutter wohnt auch noch in Syrien. Sie können nur sprechen, wenn die Verbindung funktioniert.

Jussuf hat noch eine weitere Tochter im Vorschulalter. Er sagt uns, sie sei krank und könne daher nicht in den Kindergarten.
Nach ein paar Minuten kommt sie jedoch in das Haus hinein und wirkt putzmunter und begutachtet meine Fototasche. Sie sieht die Äpfel darin und die Banane und macht große Augen. Als ich ihr das Päckchen Obst überreiche umarmt sie mich und lässt mich nicht mehr los. Im Gespräch sitzt sie ab sofort neben mir. Ich befürchte, dass die Familie eher kein Geld hat, um die Tochter in die Vorschule zu schicken.

Mir ist es unangenehm, Fotos im Haus zu machen. Seine Frau versteckt sich für das Bild vom Schlafraum zusätzlich unter der Decke. Dabei ist sie sowieso schon komplett verschleiert. Ich versuche zu verstehen, finde aber keine Antwort.
Auf der Heimfahrt denke ich an die Kinder und mache mir um sie Sorgen…
Viele Fragen sind in meinem Kopf, warum versucht der Vater nicht zu arbeiten? Warum spricht das Kind nicht zuhause, wie würde ich sein wenn ich keine Aufgabe hätte….

Mir fallen die Worte eines Psychologen ein, auf dessen Seminar ich zum Thema „Trauma-Bewältigung mit Flüchtlingen“ in diesem Sommer war. Er referierte, dass Menschen auf der Flucht auch anfällig für Depression sind. Bei der Ankunft in Sicherheit macht sich dann eine ungreifbare Erschöpfung breit.
Auch in Deutschland haben wir damit Probleme: Menschen die nicht zu Deutschkursen gehen z.B. weil sie sich einfach nicht aufraffen können. Zusätzlich ist es emotional zermürbend, weder eine Perspektive zu haben, noch seine Familie in Sicherheit zu wissen. Vielleicht ist das der Grund, vielleicht aber auch nicht.
Ich habe diese Reise auch für Antworten angetreten, doch sind auch viele neue Fragen entstanden…

Ehrenamt in Jordanien. Fotos und Text © Alea Horst für Vision Hope International.
Im Oktober 2016 besuchte Alea Jordanien. Von dort schickte sie uns Bilder und Geschichten, die wir hier in einer Serie von zehn Artikeln teilen werden. In Jordanien, diesem warmen, einladenden arabischen Reich sind 89 von 1000 Einwohnern Flüchtlinge, dies sind ihre Geschichten.