Heute besuchen wir Nour in Karak. Sie ist 16 Jahre alt und lebt in einem Drei-Generationen-Haus. Nour’s Mutter, Vater, zwei Geschwistern und die Großmutter leben mit ihr in derselben spärlich möblierten Wohnung. Mit ihren 16 Jahren hat Nour seit 3 Jahren keine Schule mehr besucht. Nachdem die Familie aus Syrien geflohen war, versuchte sie wieder zur Schule zu gehen. Der Vater nahm sie aber nach 14 Tagen wieder heraus. Wir sitzen in einer Frauenrunde: Die Großmutter, Mutter und Nour, Tanten und Anna, die uns übersetzen hilft.
Früher war es besser in diesem Land, sagte ihre Tante. Wenn man aus Syrien kam, wurde man von den JordanierInnen bewundert. Für den Bildungsstandard und die Kultur. Heute ist alles anders, fügt die Mutter hinzu. Sie haben Probleme mit den Nachbarn, sagte sie. Sie verlassen die Wohnung nicht gerne, deswegen bleibe sie drin. Sie wurden mit Müll beworfen und beschimpft. Die Familie fühlt sich diskriminiert im Land.
Ich frage Nour nach ihrem Alltag und sie erzählt mir: Aufstehen, essen, schlafen und manchmal darf sie ins Fitness Center gehen. Sie sind drei erwachsene Frauen und zwei Kinder, deswegen gibt es nicht viel Hausarbeit zu tun. Alle Frauen sagen, sie langweilen sich sehr. Nour’s Vater arbeitet und der 14 jährige Bruder verdient Geld als Metzger. Letztes Jahr hat Nour in einem Geschäft gearbeitet um ihre Zahnspange zu bezahlen.
Die Familie ist 2013 aus Damaskus geflohen. Zuerst lebten sie auf dem Land, dann im Libanon und dann in Jordanien. Zwei Brüder von Nour und ihr Großvater sind in Syrien verschwunden. Die Frauen zeigen mir die Bilder von ihnen an der Wand. Sie haben keine großen Hoffnungen mehr für die Brüder, nur die Großmutter glaubt noch daran, dass ihr Mann noch lebt.
Es gibt ein Nachmittagsprogramm von 15 bis 18 Uhr an der Schule, extra für SchülerInnen, die lange keine Schule mehr besucht haben, so wie Nour. Aber einem Mädchen ist es nicht erlaubt, nach 18 Uhr abends allein nach Hause zu gehen. Um diese Uhrzeit will der Vater seine Tochter nicht auf der Straße sehen. Deswegen kann Nour keine Schule besuchen.

Nour träumt davon, einmal Richterin zu werden. Sie lächelt freundlich, wenn sie erzählt, dass ihre Großmutter davon träumt, ihren Mann wieder zu sehen.
Wir erzählen ihr vom Nachmittagsprogramm bei Vision Hope. Junge Frauen, die sich treffen, austauschen und an Workshops teilnehmen. Dabei geht es darum, die Persönlichkeit zu festigen und Frauen zu helfen, sich weiterzuentwickeln. Dadurch kommen sie raus aus ihren vier Wänden und haben etwas Abwechslung. Nour lacht, wenn sie uns von dem Programm erzählt, ihre Mutter hört aufmerksam zu. Sie würde auch sehr gern am Programm teilnehmen. Im Moment lässt das Team von Vision Hope nichts unversucht, das Nachmittagsprogramm wieder zum Laufen zu bringen. Diese Arbeit ist so wichtig, denn junge Frauen können etwas lernen bevor sie verheiratet werden.

Die Familie wollte nicht nach Kanada migrieren, Die Kultur und Sprache sei einfach zu anders. Sie erlaubten mir, ein anonymes Bild zu machen. In Syrien hatten sie öfter Besuch als jetzt, so die Mutter. Unser Besuch war sehr schön. Sie bedankt sich mehrmals und bittet uns, nochmal zu kommen.
Ehrenamt in Jordanien. Fotos und Text © Alea Horst für Vision Hope International.
Im Oktober 2016 besuchte Alea Jordanien. Von dort schickte sie uns Bilder und Geschichten, die wir hier in einer Serie von zehn Artikeln teilen werden. In Jordanien, diesem warmen, einladenden arabischen Reich sind 89 von 1000 Einwohnern Flüchtlinge, dies sind ihre Geschichten.